Weihnachtspredigt 2014, Lukas 2 - kloster-hachborn.de

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Predigt Christveper 2014 zu  Lukas 2, 8 - 20

Liebe Festgemeinde,
irgendwann musste es ja so kommen. Beim Krippenspiel unseres Kindergartens habe ich wie immer einen prächtigen Jungen in die Krippe gelegt. Da er noch nicht in Windeln gewickelt war, war das auch eindeutig erkennbar. Aber dann hat Mia, die die Maria spielte, von zu Hause ihre Lieblingspuppe mitgebracht und irgendwie die Puppen ausgetauscht. Jedenfalls: es kam die Szenen mit der Geburt. Maria nahm das Kind aus der Krippe, und das Kind - auch das war nun eindeutig erkennbar - hatte ein rosa Höschen an und ein rosa Stirnband.  „Er ist ein Mädchen“, zischelte jemand, und in die sowieso schon große weihnachtliche Freude mischte sich ein heiteres Schmunzeln. Es ist ein Mädchen. An der Stelle, wo der Engel dann den Hirten sagt "euch ist ein Kind geboren, der Heiland" ergänzte noch eine andere: Die Heiländerin.
Nun also auch noch das: Nachdem wir also schon seit geraumer Zeit Pfarrerinnen und gar Bischöfinnen haben, nun also auch der Höchste selbst ein Mädchen.
Da tauchen schon diffuse Ängste auf. Erobern die Frauen jetzt die letzten Männerdomänen? Den alten hochehrwürdigen Dorfschullehrer gibt es ja schon lange nicht mehr. Das sind jetzt alles Grundschullehrerinnen. Die Mädchen machen inzwischen auch die besseren Schulabschlüsse. Der Pfarrer wird zunehmend ersetzt durch die Pfarrerin. In den Kirchenvorständen sind die Frauen schon in der Mehrheit. Der Bundeskanzler ist eine Kanzlerin. Jetzt wollen sie mit einer Frauenquote auch noch die letzten Vorstandsetagen in der Wirtschaft erobern. Ich fürchte selbst der Papst ist da nicht mehr lange sicher, wenn schon in der Krippe ein Mädchen liegt.
Eine genaue Beobachtung der religiösen Situation in Europa und vielen anderen Ländern der westlichen Welt verdichtet den Eindruck. Der Glaube an Gott, den allmächtigen Vater ist im Schwinden, dafür glauben immer mehr an die Liebe als der Mutter aller Dinge. Selbst Atheisten und Nichtreligiöse wollen doch auf die Liebe nicht verzichten. Hat sich bei Gott also nur einfach das Geschlecht verwandelt. Von Herrgott zur Himmelsmacht der Liebe?
Was wird dabei dann eigentlich aus uns Männern?
Bei manchen- so haben wir es in diesem Jahr erlebt - steigen diffuse Ängste auf, vor allem bei jungen Männer, die aus patriarchaler Kultur kommen, als Pascha erzogen wurden, dann auf selbstbewusste junge Frauen stoßen und prompt Probleme kriegen, ihre Rolle als Patriarch noch zu spielen. Sie empfinden sich in einer zunehmend weiblich geprägten Gesellschaft als Verlierer. In Bildung und Beruf sind sie an den Rand gedrängt. Sie können noch nicht mal das, was manche an den Rand gedrängte junge Frau noch kann: Kinder in die Welt setzen. Bei einigermaßen funktionierenden Sozialsystemen werden sie als Ernährer der Familie nicht mehr gebraucht. Zu was sind sie dann noch da?  
Da gewinnt plötzlich eine Religion an Attraktivität, wo Gott noch klar männlich ist und sein Prophet genauso, und als äußeres Zeichen trägt man das, was keine Frau hinkriegt: einen langen Bart. Die Männer sind Kämpfer und Soldaten, und wenn sie dabei ihr Leben verlieren sollten, so erwarten sie gleich 7 Jungfrauen im Himmel, die ganz ihnen gehören. Wem die Welt so trostlos ist, der muss sich in Träume flüchten. Wer hier nichts zu verlieren hat, wird anfällig für solche Phantasien und ihre mörderischen Konsequenzen.
Es sind vier Risikofaktoren, die vier M’s, mit denen Jugendliche bei uns besonders gefährdet sind in terroristische Gewalt abzudriften:  männlich, muslimisch, Migrationshintergrund, marginalisiert.   
Andere, mit ähnlich diffusen Ängsten, befürchten angesichts solcher Gotteskrieger schon die Islamisierung des Abendlandes, häufig umso mehr je weniger sie tatsächlich mit muslimischen Migranten zu tun haben. Doch mit ihrer Parole „gegen Glaubenskriege in Europa“ provozieren sie genau das, wo sie dagegen sind. Ängste schaukeln sich wechselseitig hoch.
Was hilft, was erlöst, was heilt?
Heute lesen wir in der Weihnachtsgeschichte: „Und der Engel des Herrn trat zu ihnen und die Klarheit des Herr leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr.“ Aufklärung also - damit beginnt es. Gottes Engel klären auf. Sie bringen Licht in der Nacht. Ein ganzes Zeitalter hat sich in christlicher Kultur nach dem Weihnachtsengel benannt: die Aufklärung. Auch wenn sie sich gegen manche religiösen Beharrungskräfte durchsetzen musste und auch heute noch muss: Christlicher Glaube ist eine Freund der Aufklärung, ist Licht im Dunkel.
Damit ist die Angst noch nicht gleich weg. Manchmal steigert es die Furcht sogar, die Dinge in klarem Licht zu sehen. Werde ich da bloßgestellt?  Werden die Hirten auf dem Felde, die sowieso schon ganz unten sind, werden sie jetzt auch von ganz oben noch einmal niedergemacht.
Deswegen muss Aufklärung mit Widerständen rechnen: non Eltern, die ihre Kinder vom Aufklärungsunterricht in der Schule abmelden wollen bis hin zu jenen, die gar um die Existenz Gottes fürchten, wenn das wissenschaftliche Forschen zu weit geht. Immer mal wieder hören wir von solchen Fällen. Manchmal werden aus diffusen Ängste auch solche Bewegungen, wie wir sie jetzt in manchen Städten erleben. Patrioten in Europa gegen die Islamisierung des Abendlandes. Pegida – da hilft es wenig, den Ängstlichen noch einmal zusätzlich Angst zu machen.
Wo der Weihnachtsengel hinzutritt werden die Dinge klar, geschieht Aufklärung und in ihrer Folge Entängstigung mit zusätzlichem Lustgewinn: „Fürchtet euch nicht, siehe ich verkündige euch große Freude", sagt der Engel. Weihnachten ist eine Geschichte gegen die Angst.
Der Engel fängt bei denen an, die am Rande der Gesellschaft hausen in prekären Arbeitsverhältnissen – das letzte M: marginalisiert. Das sind die meisten von uns nicht. Wir sind nicht draußen auf dem Feld. Wir haben meist bessere Arbeit als Schafe hüten. Wir haben einen warmen Platz hier in der Kirche.
Das 2. M, muslimisch, sind wir meist auch nicht und das 3. M., der Migrationshintergrund, besteht in vielen Fällen nur darin, dass sie mal von  Hochstadt nach Wachenbuchen geheiratet haben. Höchstens das männlich trifft auf uns zu, jedenfalls auf die, die diesen Gottesdienst hier mit gestalten, vom Organisten über Küsterdienst bis zu den Bläsern. Das sind alles Männer.
Aber auch wir als Männer können uns das ja gesagt sein lassen: Fürchtet euch nicht! Lasst euch aufklären über dieses geheimnisvolle Wesen – die Frau. Selbst wenn jetzt ein Mädchen in der Krippe liegen sollte: es ist nicht zum Fürchten, es ist zur großen Freude für alles Volk. Keine Angst, auch wenn es nicht mehr in Windeln gewickelt ist, sondern sich mittlerweile entwickelt hat.
Es wird wohl manche eingefahrene Denkgewohnheiten kräftig durcheinander wirbeln. Aber damit kommt ja auch etwas Neues, erfrischend Neues, in die Welt. Und die große Freude ist dann bei allem Volk, Männer und Frauen, Migranten und Eingeborene, Hirten und Königen: Euch ist heute Heiland geboren.  Der Christus, der die Welt zusammenbringt.
Die spätere Tradition hat die Geschichte weiter ausformuliert: Da an der Krippe treffen sich alle: das Volk von ganz unten und die heiligen drei Könige von oben, der fromme Josef aus Davids Geschlecht und die Heiden, die Stern und Halbmond als Zeichen ihrer Religion haben. Wir singen noch dazu: "Kommet ihr Hirten, ihr Männer und Frauen, kommet, das liebliche Kindlein zu schauen". Das ist die Erlösung von der Angst: das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.  
Inzwischen erleben wir den Geist dieses Kindes auch im übertragenen Sinne als eine Antwort auf die neuen Rollen von Mann und Frau. Wir finden immer mehr Kinder in einer Krippe, und dennoch reichen die Krippenplätze in unserem Land noch immer nicht. Manchmal begegnen wir auch noch den Ängsten. Für manche Ältere war das noch unvorstellbar, das Kind mit einem Jahr wegzugeben in eine Krippe. Inzwischen ist es der Normalfall, und wenn es gut gemacht ist, tut es allen Seiten gut. Fürchtet euch nicht! Ihr werdet finden ein Kind in Windeln gewickelt. Mit eurer Hilfe kann es sich entwickeln.  Auch dem Josef und anderen Männer, die noch zögerlich und ängstlich sind Verantwortung für eine Familie zu übernehmen, denen sagt es der Weihnachtsengel: Fürchte dich nicht. In dem was da geschieht wirkt Gottes Geist. Vertraue auf die Macht der Liebe.
Ich weiß nicht, wie es ihnen in ihren Familien geht im Zusammenleben der Generationen. Zu Weihnachten, wenn sie alle da sind, stoßen manchmal auch verschiedene Welten aufeinander. Lassen wir uns, bevor wir urteilen, erst mal aufklären und klären wir auch selber auf. Wo die Klarheit des Herrn leuchtet, weicht unbegründete Angst und neue Lust am Leben entsteht: große Freude allem Volk.
Ich weiß, das geht nicht immer so schnell, wie man sich das wünscht und Gott weiß das auch. In der Weihnachtsgeschichte reicht deshalb ein Engel nicht aus, um diese Randfiguren draußen auf dem Feld zu überzeugen. Wir können vermuten, wieviel an Enttäuschung sie schon erlebt haben. Wieviel Ablehnung sie erfahren haben. Wie viele Wunden auf ihrer Seele lasten, wieviel da an Verbitterung ist. Kann das alles noch heilen?  Manchmal erlebe ich in Seelsorgegesprächen, wie tief Verletzungen sind, gerade wenn es um die Familie und die engsten Verwandten geht. Wer kann das heilen? Da müssen Heerscharen von Psychotherapeuten ran und ihr gloria in excelsis singen.
Sie bitten Gott doch mal die Ehre zu geben. Sie teilen kräftig Lob aus.  Sie wecken neuen Stolz, um diese verschlossenen Gesellen wieder zu öffnen: Euch ist heute der Heiland geboren. Da ist ein Kind, das wartet auf euch.
Ein Mann geht los, springt über seinen Schatten, um seiner Tochter die Hand zu reichen, um des Neugeborenen Kindes willen. Schwestern, die sich heillos zerstritten haben, begegnen sich wider. Kinder lernen, dass man sich auch nach einem ordentlichen Familienstreit wieder versöhnen kann.
Ist das wirklich wahr, was uns da der Herr kundgetan hat? Unter den Hirten ist zunächst noch Diskussionsbedarf. Sie besprechen das erst noch untereinander. Als Ergebnis beschließen sie, die himmlische Erscheinung auf ihren Realitätsgehalt zu überprüfen. Es muss ja nicht alles wahr sein, was uns vom Himmel hoch erzählt wird. Aber in diesem Fall finden sie das Kind, ihren Heiland. Sie sind mächtig stolz auf diesen Knaben mit ihrem Stallgeruch. Doch wer weiß, vielleicht war es auch ein Mädchen.
„Hier liegen ja zwei Kinder in der Krippe“ entdeckte unser Josef bei der Hauptprobe zum diesjährigen Krippenspiel. In der Tat, da lagen plötzlich Zweie: ein Junge und ein Mädchen. Eine Mitspielerin, die die Kunst versöhnlicher Kompromisse beherrscht, ergänzte: Es waren Zwillinge, aber die Geschichte des Mädchens muss noch erzählt werden. Allerdings nicht heute Abend. Von der Heiländerin berichte ich ein andermal.


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